Lamb of God liefern schon jetzt das Album des Jahres

(Album Artwork: Lamb of God/Nuclear Blast)

Knapp acht Jahre lang liessen Lamb of God nichts von sich hören. Nun meldet sich die US-Metalband mit dem gleichnamigen Album «Lamb of God» umso eindrücklicher zurück. Eine wahre Erfrischung im schlappen Corona-Sommer. Aber Achtung: Sie ist laut!

Von David Frische

Es ist wie ein Donnerschlag im stillgelegten Sommer des Corona-Jahres 2020. Home-Office tagein, tagaus. Das Warten und Hoffen auf bessere Zeiten. Und dann das: Die US-Metalband Lamb of God liefert am 19. Juni ein neues Album. Schon beim ersten Hören der Platte ergreift einen das Gefühl, das hier etwas Grosses entstanden ist. Aber eins nach dem anderen.

Memento Mori – Nutze die Tage, auch die schlechten!

Das Album startet mit leisen, mystischen Tönen. Hab› ich wirklich eingeschaltet? Du hast. Die Töne werden allmählich lauter, erste Stimmen tauchen aus der Ferne auf. «Wake Up», flüstert es leise ins Ohr. Gitarrenseiten werden angespielt – ehe der erste Song wie ein Gewitter losbricht. Jetzt bin ich wach! Auch beim Schauen des zugehörigen Videoclips ist die Szenerie jetzt so richtig eröffnet: Ein junger Mann wird von Zombies gejagt.

Doch so düster die Handlung des Songs von einem dunklen Fluss über blätterlose Bäume und einen «gefrorenen Himmel» anmutet, so motivierend ist der Refrain: «The hardest hour, the cruelest sign, I’m waking up from this wretched lie, I fight it the same, don’t waste this day. Wake up, wake up, wake up, Memento mori», brüllt Sänger Randy Blythe ins Mikrofon. Zu den aktuellen Pandemie-Zeiten irgendwie passend.

(Video: Lamb of God/Youtube)

Der sogleich folgende Song «Checkmate» überzeugt mit wilden, schnellen Gitarrenriffs durch die Strophe. Sofort ist man dabei, der Song zieht mit. Typisch für die Art von Metal, aber doch immer wieder unglaublich wuchtig ist die perfekte Abstimmung von Doublebass-Schlägen des Schlagzeugs mit den Power-Akkorden der Gitarre. Fett.

Der Refrain des Titels handelt von dem immer wiederholenden Ablauf eines Songs, die typischen Refrains, die schon «ohrenbetäubend» seien. Die Ironie des Ganzen: Genau so ist auch dieser Song. Aber es stört nicht, keineswegs. Denn es macht ihn umso greifbarer. Schon bei den ersten ein bis zwei Durchgängen bleibt Randy Blythes Ausruf «The American Scream!» am Ende des Refrains hängen, darauf folgt jeweils ein kraftvolles, kurzes Gitarrenriff, das den Kopf automatisch bangen lässt. So muss Metal für mich sein! Und es zeigt: Lamb of God bleiben ihrer Musik treu.

«Reality Bath» zieht dir die Gänsehaut über

Das zweite Drittel des Albums beginnt wieder so, wie die Scheibe begonnen hat: ziemlich leise. Aber deutlich: Leicht verzerrte, orientalische Gitarrentöne nehmen einen mit auf eine Reise durch die Wüste. So glaubt man zumindest. Aber das Intro wird jäh unterbrochen, von einem Paukenschlag des Drummers direkt in die Magengrube. Anstelle einer Wüste findet sich der Hörer an der Seite eines achtjährigen Mädchens wieder, das von Todesangst getrieben durch eine Schule irrt. «Reality Bath» handelt von der Gewalt, die unsere Gesellschaft durchzieht, sie jeden Tag begleitet.

Krieg und Mord aus politischen, ideologischen oder persönlichen Gründen – «Reality Bath» betont die Willkür und die Sinnlosigkeit der Gewalt in dieser Welt. «Another massacre, another day gone by. Is this the new abnormal? Pursuing illusions as we turn a blind eye. This is the new abnormal», faucht Blythe im Refrain. Und fordert uns dazu auf, hinzusehen und nicht still dazustehen: «But I can’t sit there silently and watch it all go by. The strongest hearts will raise their voice against the murderous tide».

Passend zu dieser lauten Aufforderung peitscht das Schlagzeug unermüdlich durch die Strophen des Songs. Nach Refrain 2 folgt dann eine zunächst ruhige Bridge. Wieder die orientalische Gitarre mit dem Thema zu Beginn des Songs. Diesmal wird die Melodie aber beibehalten und kontinuierlich aufgebaut, die zweite Gitarre und das Schlagzeug machen sich breit. Was zustande kommt, ist einer der fettesten Songteile, die ich dieses Jahr bislang im Bereich der Metalmusik gehört habe. Brachial, laut – Gänsehaut! Der Aufforderung, seine Füsse nicht stillzuhalten, wird so musikalisch nochmals Nachdruck verliehen. Aber hört «Reality Bath» am besten selbst:

(Video: Lamb of God/Youtube)

Die Mitte des Albums gehört der Single-Auskopplung Hit «New Colossal Hate», das entgegen vieler anderer Songs nicht mit einem bewusst lang inszenierten Intro überzeugt, sondern direkt dort einsetzt, wo der Song entlang läuft: Auf einer geradlinigen, zügigen Linie. Als ob eine schwere, eiserne Lokomotive auf einer Schiene entlang rattert, schnaubt und dampft. Macht Laune!

«Routes» – Explosion und epochales Ende

Aus den zehn Songs, die ich für mich alle irgendwo zwischen sehr gut und absolut genial einordne, sticht die Nummer «Routes» ebenfalls heraus. In Co-Produktion mit Testament-Sänger Chuck Billy haben Lamb of God ein Lied auf die Platte gepackt, das von der ersten Sekunde anpeitscht. Das rasende Trommeln wird aber wiederholt von einem Chor unterbrochen – dafür wurde eben Chuck Billy an Bord geholt –, der die ganze Sache stellenweise etwas herunterfährt. Sogleich geht es aber gehetzt weiter, was «Routes» eben auch die Energie gibt.

Bei mehrmaligem Hören wird einen bewusst, dass alles auf ein epochales Ende hinarbeitet: Das wilde Gitarrensolo zur zweiten Songhälfte wird von einer Explosion aus Paukenschlägen und Gitarrenriff unterbrochen, welche die Zielgerade einläutet. Wieder setzt der von Chuck Billy angeführte Chor ein, heroisch wird gesungen: «To the sky, voices singing, on and on. Never ending. In the night, drums are beating. On and on. Never ending.»

(Video: Lamb of God/Youtube)

«Lamb of God» ist eine Metal-Arbeit, die Fans der harten Rockmusik nach ein- oder zweimaligem Hören im Sack hat. Ein Werk, das mit den seichten, unheimlichen Intros etwas Neues versucht, aber Lamb of God im Ganzen bei ihren Wurzeln lässt. Für mich ist schon im Sommer klar: Wenn in der Musikwelt in den kommenden Monaten nicht noch etwas unerwartet Grosses passiert, ist «Lamb of God» schon jetzt mein Album des Jahres.

Lamb of God: «Lamb of God» (Nuclear Blast).

Lamb of God lassen 2020 endlich wieder von sich hören – und wie. (Bild: Travis Shinn)